
Fest der Kreuzerhöhung (Exaltación de la Santa Cruz / Orqo Phista) in Juli
Agrarisches Andenritual und Patronatsfest in der Kleinstadt Juli
In der Stadt Juli am Titicacasee wird jedes Jahr vom 13. bis 16. September die Exaltación de la Santa Cruz, lokal als Orqo Phista bekannt, gefeiert. Dieses Fest verbindet katholische Kreuzverehrung mit alten aymarischen Agrarritualen und gilt bis heute als eine der eigenwilligsten und eindrucksvollsten Formen, um zu „lesen“, ob das kommende landwirtschaftliche Jahr fruchtbar sein wird. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht nur Kreuz, Sonne und Mond, sondern auch der K’usillo – die clowneske Figur des „Anden-Narren“.
Zeitraum und Bedeutung des Festes
Das Fest der Kreuzerhöhung wird offiziell am 14. September begangen, die Feierlichkeiten erstrecken sich jedoch über mehrere Tage:
- 13.–16. September: Festzeitraum der Exaltación de la Santa Cruz / Orqo Phista
- 14. September: zentraler Festtag mit dem wichtigsten Ritual
Die Bräuche und Rituale wurden über Generationen weitergegeben und sind eng mit dem agrarischen Jahreskreis verknüpft. Sie gelten als Indikator dafür, ob das Jahr der Aussaat und Ernte gut oder schwierig verlaufen wird.

Der K’usillo – „Chistoso de la Fiesta“
Die Hauptfigur des Festes ist der K’usillo, ein Wort aus dem Aymara, das etwa „andiner Spaßmacher“ bedeutet. Im Volksmund nennt man ihn auch den „Chistoso de la Fiesta“, den Spaßmacher des Festes.
- Es findet ein K’usillo-Wettbewerb mit rund 500 Teilnehmern statt.
- Die Altersgruppe reicht von etwa 2 bis 60 Jahren.
- Die K’usillos treten mit bunten Kostümen, Masken und überzeichneten Bewegungen auf.
Sie verkörpern Humor, Übermut und Kritik zugleich – eine Figur, die zwischen Ernst und Spiel vermittelt und das Fest mit Lachen und Spott auflockert, während im Hintergrund ernste agrarische Vorzeichen gedeutet werden.

Ablauf der drei Haupttage
13. September – Chuspi Chuspi: Beginn der landwirtschaftlichen Arbeiten
Der erste Tag, der 13. September, ist der Auftakt der Feierlichkeiten und steht im Zeichen des Chuspi Chuspi, einer rituellen Darstellung des Beginns der landwirtschaftlichen Arbeiten. An diesem Tag treten zwei traditionelle Tänze in den Vordergrund:
- Waca Waca – mit Kostümen, die Stiere und Stierkampf parodieren,
- Quenachos (Q’arapulis oder Quena-quena) – Tänze mit typischen Flöten und Rhythmen des Altiplano.
Die Darstellungen verknüpfen symbolisch Viehwirtschaft, Feldarbeit und den Zyklus von Saat und Ernte mit Musik und Tanz. Chuspi Chuspi markiert rituell den Moment, in dem die Gemeinschaft sich auf das neue Agrarjahr vorbereitet.
14. September – Haupttag: Ritual des Kampfes zwischen Sonne und Mond
Der 14. September ist der wichtigste Tag des Festes und Mittelpunkt eines außergewöhnlichen Rituals, das in der Plaza de Armas von Juli inszeniert wird.
Ritual der Erlaubnis
Bevor der symbolische Kampf beginnt, wird ein Ritual der Erlaubnis durchgeführt:
- Der Sargento de los Incas (Sergeant der „Inka“) bittet beim Gouverneur und bei der Polizei offiziell um Erlaubnis, das Ritual zu starten.
- Die Autoritäten überreichen die „Munition“ – Orangen und Feigen – für die bevorstehende Auseinandersetzung.
- Auch die Figur der Mama Qulla ist anwesend, sie repräsentiert die Pachamama und verkörpert die Verbindung zur Erde und zur Fruchtbarkeit.
Kampf von Sonne und Mond in der Plaza de Armas
Im eigentlichen Ritual formieren sich die Bewohner der Gemeinschaft Incapucara in zwei Gruppen:
- Ein Inka-Lager repräsentiert den Mond.
- Das andere Lager repräsentiert die Sonne.
Der Schauplatz ist die Plaza de Armas von Juli. Die beiden Gruppen treten aus verschiedenen Ecken der Plaza auf, ziehen ihre Runden und nutzen ihre Schleudern, um die Umstehenden spielerisch zu treffen. Dann formieren sie sich einander gegenüber und markieren ihr Territorium.
Es beginnt ein ritualisierter Kampf, bei dem sich die beiden Lager mit den von den Behörden ausgeteilten Orangen und Feigen bewerfen. Diese Früchte symbolisieren den Wunsch nach guter Ernte und reicher Produktion. Wenn die Munition aufgebraucht ist, setzen die Teilnehmer die Auseinandersetzung mit Peitschenhieben untereinander fort, bis sich eines der beiden Lager geschlagen gibt.

Deutung des Ergebnisses
Nach dem Kampf bewegen sich die Gruppen zur Hauptpforte des Templo San Pedro Mártir, wo die letzte Phase des Rituals stattfindet. Das Ergebnis des Kampfes gilt als Omen für das kommende Jahr:
- Gewinnt der Mond, deutet dies auf ein Jahr mit besonders guten Ernten hin.
- Gewinnt die Sonne, wird das Agrarjahr als weniger günstig interpretiert.
Für die Bevölkerung haben die „Munitionen“ eine besondere Bedeutung: Wer eine Orange oder Feige von der Plaza mitnehmen kann, glaubt, damit ein Stück Glück und Fruchtbarkeit für die eigene Produktion zu sichern.
Chuspi Chuspi und die symbolischen Stiere
Im Rahmen des Chuspi-Chuspi-Rituals tritt auch eine Stierdarstellung auf: ein Paar Stiere mit Gips-Panzerung und Bußgürtel (cilicio), begleitet von Männern und Frauen in alten, dunkelvioletten Gewändern, die als „el Urku“ bezeichnet werden. Diese symbolische Szene verbindet:
- Viehwirtschaft und Kraft,
- Leid, Opfer und Fruchtbarkeit,
- traditionelle agrarische Vorstellungen mit christlicher Symbolik.

Kultur- und Folkloreerlebnis für Besucher
Das Fest der Kreuzerhöhung in Juli ist eine intensive Mischung aus Religion, Ritual und Folklore. Für Besucher eröffnet sich ein einzigartiger Einblick in die Spiritualität der Aymara-Gemeinschaften, in der katholische und andine Elemente ineinander übergehen.
Religiöse und patronale Aktivitäten
- Prozessionen und liturgische Akte zur Verehrung der Heiligen Kreuzerhöhung.
- Andine Rituale zur Deutung des Agrarjahres, eingebettet in eine christliche Festkulisse.
Tanz, Musik und künstlerischer Ausdruck
- Beobachtung von traditionellen Tänzen wie:
- Waca Waca
- Q’arapulis / Quena-quena
- K’usillo-Wettbewerbe mit Hunderten von verkleideten Figuren.
- Ästhetische Darbietungen in Kostümen, Masken, Musik und dramatischen Szenen.
Ein Fest zwischen Ernst und Spiel
Für Reisende, die während der Exaltación de la Santa Cruz nach Juli kommen, bietet Orqo Phista die seltene Gelegenheit, ein Fest zu erleben, in dem ernste agrarische Vorzeichen, Humor, Kampf und Glauben auf einzigartige Weise verschmelzen. Zwischen Orangen, Feigen, Schleudern, Tänzen und Gebeten zeigt sich die Kleinstadt Juli als lebendiges spirituelles Zentrum des peruanischen Altiplano.

