Die Entdeckung
Die Entdeckung von Machu Picchu
Die Anden in Peru. Allein der Anblick dieses Gebirges lässt den Atem stocken. Doch im Jahr 1911 entdeckte der Hawaiianer Hiram Bingham auf einem ihrer Gipfel etwas noch Spektakuläreres als alles, was er zuvor gesehen hatte: die Ruinen von Machu Picchu, seitdem als verlorene Stadt der Inka bekannt. Bis heute ist diese Inka-Stätte von vielen Mysterien umgeben; noch immer ist sie historisch und archäologisch nicht vollständig erschlossen. Doch als Machu Picchu 1911 von Hiram Bingham III. entdeckt wurde, war es ein noch viel rätselhafterer Fund. Niemand konnte ahnen, dass die damals überwucherten Ruinen zu einer der bekanntesten Attraktionen in Peru und schließlich zu einem der neuen sieben Weltwunder werden würden.
Lesen Sie mehr über die abenteuerliche Entdeckung Machu Picchus und die Geschichte des Menschen, welche vor über hundert Jahren den Fund seines Leben und die Inka Stadt der wissenschaftlichen Welt bekannt machte.
Hohe Erwartungen
Am Morgen des 24. Juli 1911 krochen drei Männer auf Händen und Knien einen steilen und rutschigen Berghang mitten in Peru hoch. Initiator des Trecks war ein 35-jähriger Junior Professor für lateinamerikanische Geschichte an der damals schon renommierten Yale-Universität namens Hiram Bingham.
Einige Tage zuvor war der kleine Trupp vom Expeditionscamp am Urubamba-Fluss aufgebrochen. Gemeinsam mit seinen zwei peruanischen Begleitern war Bingham auf der Suche nach einer geheimnisvollen Ruinenstadt mit dem Namen Machu Picchu, „alter Berg“ in der Sprache der Inka.
Er folgte dabei mehr als nur einem Instinkt. Bereits 1909 war Bingham im Zuge einer Expedition in der peruanischen Stadt Cuzco gewesen – vor allem auf der Suche nach der letzten „Hauptstadt“ der Inkas, ein bis dahin unauffindbarer Mythos.
Im Februar 1909, einem der feuchtesten Monate in Peru, hatte Bingham die Ruinen von Choquequirao besucht. Nach damaligem Wissensstand hielten Archäologen Choquequirao für den sagenumwobenen letzte Rückzugsort der Inka. Bingham jedoch konnte dieser Einschätzung nach einem eingehenden Besuch nicht zustimmen – zu klein und wenig umfänglich schien ihm die Anlage zu sein (eine Fehleinschätzung, wie sich später herausstellte). Diese Überzeugung motivierte den Forscher, bald darauf nochmals nach Peru zurückzukehren, um auf eigene Faust nach der legendären Inka-Stadt zu suchen.
1909 war Bingham in Cuzco auch auf den dortigen Universitätsdirektor mit dem verblüffend deutsch klingenden Namen Albert A. Giesecke gestoßen. Gieseckes Eltern waren tatsächlich deutsche Immigranten – allerdings in den USA. Er selbst war als junger Wissenschaftler aus Philadelphia nach Peru gekommen und hatte mit 27 Jahren begonnen, die verstaubte Universität von Cuzco zu einem lebendigen akademische Zentrum zu machen. Dabei öffnete der Akademiker nicht nur den Lehrbetrieb für Frauen, sondern wurde immer mehr zu einem intimen Kenner der Gegend und ebenso der traditionellen Quechua-Sprache.
Ob Bingham und Giesecke bereits 1909 persönlich aufeinander trafen, ist nicht ganz geklärt. Sicher ist aber, dass sie einen lebhaften Briefwechsel zu ihren beiderseitigen Vermutungen weitere Inka Stätten in Peru betreffend unterhielten.
Anfang 1911 wurde Giesecke von seinem Freund Braulio Polo de la Borda zu einem Besuch auf dessen Hacienca in Echarate eingeladen, um die Kakao, Koka und Kaffee Plantagen zu besichtigen. Die Reise dauerte vier Tage lang und führte die beiden durch den tropischen Teil des Urubamba-Tals mit seinen vielen Inka-Ruinen. Es war der Höhepunkt der Regensaison. Die Umgebung war üppig, aber oft auch unwegbar und ihre Durchwanderung eine körperliche Herausforderung. Dennoch war Gieseckes Neugier mehr als geweckt.
Bei einer Pause nähe einer Hütte in Mandor Pampa befragte Braulio Polo deshalb den Quechua sprechenden Bewohner Melchor Arteaga nach der Existenz weiterer Ruinen in der Umgebung. Arteaga beschrieb ihm daraufhin eine große Anzahl an verfallenen Steinbauten hoch oberhalb des Canyons auf der anderen Seite des Flusses. Er selbst hatte dort Land kultiviert und es an andere Farmer verpachtet. Polo und Giesecke überlegten lange, entschlossen sich dann aber angesichts des nassen Wetters gegen einen Ritt hinauf. Stattdessen setzten sie ihre Reise zur Hacienda fort – bei trockenerem Wetter wären sie sonst vielleicht die Entdecker von Machu Picchu geworden.
Als Bingham einige Monate später erneut in Cuzco eintraf, diesmal als Kopf eines Acht-Mann-Forscherteams, erzählte Giesecke ihm von Arteagas Augenzeugenbericht. Bingham beschloss augenblicklich, den Farmer in Mandor Pampa aufzusuchen.
Dazu muss man wissen: Diese neue Reise wurde von zwei Institutionen gesponsort, seiner eigenen Yale Universität – zu deren Ehren hieß sie auch offiziell die „Yale Peruvian Expedition“ – sowie der National Geographic Society . Nicht nur hatte Bingham die Besteigung und Kartierung des Mount Coropuna versprechen müssen, welcher bis dato als höchster Berg Südamerikas galt, um an das Resegeld zu kommen. Er brach auch mit dem expliziten Ziel auf, die „letzte Hauptstadt der Inka“ zu finden: Vilcabamba, jenen verzweifelten Rückzugsort, an dem sich die Inka in der Mitte des 15. Jahrhunderts vor den spanischen Eroberern verschanzt hatten.
Bingham wollte mit spektakulären Funden zurückkehren, um seine Mäzene zufrieden zustellen und sein Team aus Botanikern, Archäologen und Kartographen zu rechtfertigen – denn Binghams interdisziplinärer Ansatz, heute akademisch selbstverständlich, war für die damalige Zeit höchst modern und experimentell. Auch die Fotofirma Kodak war als Sponsor mit an Bord; Bingham hatte die für die damalige Zeit modernste Fotoausrüstung dabei, die uns die ersten, heute noch erhaltenen Bilder von Machu Picchu geschenkt hat.
„Es schien wie ein unglaublicher Traum“
In Cuzco angekommen stattete Bingham sein Team tagelang mit Maultieren, Zubehör und Proviant aus, bevor sie sich auf den alten Inka-Pfaden in das Urubambatal aufmachten. Mehr als 6.000 Kilometer durchzog die damals „Nord-Süd – Verbindung“ genannte Straße das Inkareich. Damit war sie die längste Straße der damaligen Welt.
Drei Tage nach ihrem Aufbruch erreicht das Team Mandor Pampa.
Von hier aus beschloss Bingham, den beschwerlichen Weg bis zu den Ruinen auf der Bergspitze in etwa 2.300 Metern Höhe alleine zurück zu legen. Er ließ seine Mannschaft im Camp und nahm nur den mit einem peruanischen Sol entlohnten Arteaga mit, der ihm Tags zuvor detailliert von Machu Picchu und Wayna Picchu berichtet hatte. Außerdem dabei war der von der Regierung als Quechua-Übersetzer zur Seite gestellte Sergeant Carrasco.
Die drei hangelten sich über die Holzstege, die den Rio Urubamba durchquerten und machten sich auf den schlammigen Aufstieg. Kurz vor Erreichen des Gipfels überließ Arteaga seinen Platz einem Bauernjungen, Sohn eines von zwei Farmern, die genau unterhalb der Ruinen anpflanzten.
Es war dieser bis heute ohne Namen gebliebene Bauernjunge, der Bingham sicher ans Ziel führte. Als erstes fielen Bingham die kunstvoll entlang der Steigung gemauerten Terrassen auf: „Ein völlig unerwarteter Anblick, diese Folge wunderschön konstruierter Steinterrassen, vielleicht an die Hundert.“ Sie wanderte eine der Terrassenstufen entlang. „Plötzlich sah ich mich den Wänden von Hausruinen gegenüber, Beispielen feinster Inka-Steinarbeiten, sorgfältig geschnitten und exquisit zusammengefügt.“
Bingham war überwältigt. Vor ihm lag eine überwucherte, aber klar in ihren ganzen Ausmaßen erkennbare Inka-Stadt: Machu Picchu.
Planvoll angelegte Terrassen führten zu einem Plateau mit einer Vielfalt an Steinstrukturen, die offensichtlich nach bestimmten architektonischen Prinzipien angeordnet waren. Bingham war auf eine Inka-Geisterstadt gestoßen, die von der Außenwelt vierhundert Jahre lang vollständig abgeschnitten war (später sollte sich herausstellen, dass nicht mal die spanischen Eroberer bis zu ihr vorgedrungen waren). Bingham schrieb später über diesen Moment „Es schien wie ein unglaublicher Traum. Was konnte dieser Ort bloß sein?“ Zunächst glaubt der Entdecker tatsächlich, auf jenes Vilcabamba gestoßen zu sein, dass er später tatsächlich an anderer Stelle unter dem neuen Namen „Espiritu Pampa“ nochmals selbst entdecken wird, ohne sich der Bedeutung seines zweiten Fundes voll bewusst zu werden.
Bingham begann, die Ruinen zu durchsteigen und erste Fotos zu machen. Fünf Stunden lang erwanderte er sich die verfallenen Gebäude und Monumente von Machu Picchu, während seine beiden Begleiter auf ihn warteten.
Am Schluss seiner ersten Exploration fand er auf einem der Steine einen eingemeißelten Namen und ein Datum: “Lizarraga 1902”. Am nächsten Tag sollte er von Arteaga erfahren, dass es sich dabei um den Namen eines anderen Bauern handelte: Agustín Lizarrága, der nahe der nicht weit entfernten San Miguel Brücke wohnte. Lizarrága hatte den Machu Picchu bereits zehn Jahre zuvor entdeckt und vor allem zum Kartoffelanbau landwirtschaftlich zu nutzen begonnen.
Am Tag darauf kehrte Bingham mit seinem Team nach Machu Picchu zurück, beseitigte einen Großteil des Gestrüpps, ließ eine erste, erstaunlich detaillierte und präzise Karte erstellen und fotografierte die Ruinen von Machu Picchu extensiv.
Insgesamt unternahm Bingham in den kommenden Jahren noch zwei weitere Expeditionen nach Machu Picchu, eine in 1912, die dritte 1915. Auch diese wurden von der Universität Yale und der National Geographic Society finanziert.
Diebstahl oder Leihgabe?
Diese monitäre Abhängigkeit führte allerdings auch dazu, dass Bingham Tausende von Artifakten aus Machu Picchu zurück nach Yale verschiffte, zu Händen des Peabody Museum of Natural History – nicht zuletzt, um seine Sponsoren zufrieden zu stellen. In den Augen vieler Peruaner kam dies einer Plünderung gleich.
Dabei war Bingham ursprünglich unzufrieden mit seiner Ausbeute an gefundenen Objekten gewesen. Jahrelang fragte Bingham sich, ob er mit Machu Picchu tatsächlich die verlorene Inka Hauptstadt in Peru gefunden hatte. Was ihn dabei aber besonders erstaunte, waren die relativ wenigen und vor allem so gut wie leeren Grabstätten in Machu Picchu.
„Eine sorgfältige Zählung der in Höhlen und Gräbern gefundenen Skelette und Knochen ergab 175 Individuen.“ dokumentierte er. „150 davon gehören zu Frauen, eine außergewöhnlich hoher Anteil, der auf Machu Picchu als eine Zufluchtsstätte für die ‚Auserwählten Jungfrauen der Sonne‘ schließen lässt.“
Bei einer nochmaligen Laboranalyse der erhaltenen Kochen stellte sich allerdings in den vergangenen Jahren heraus, dass es sich bei den Knochenresten keineswegs um weibliche Skelette handelte. Die Inka waren einfach nur klein und drahtig gebaut; und der Knochenspezialist in Binghams Team hatte die viel schwereren Knochen der Europäer als Bewertungsmaßstab herangezogen.
Ebenso rätselhaft war es für Bingham, dass sie keinerlei Silber oder Gold-Objekte in den Ruinen von Machu Picchu fanden; lediglich Gegenstände aus Bronze und anderen Metallen, außerdem aus Holz, Stein und Ton. Für Bingham war die damals einzige logische Erklärung, dass vielleicht ein geordneter Rückzug aus der Stadt stattgefunden haben könnte, unter Mitnahme aller wertvollen Güter. Insgesamt verzeichnete der Forscher 521 Keramiken und 220 Metallobjekte.
Der offizielle, bereits 1916 angefertigte Regierungsbericht protokolliert den Abtransport von 74 Boxen aus Machu Picchu durch Binghams Team. Vermerkt sind Knochen, Mumien, Keramik, Stoffe, Metall- und Holzobjekte, aber keine Gold- oder Silbersachen. Bingham ließ diese nach Yale verschiffen, zur Untersuchung und folgenden Ausstellung.
An und für sich war diese Entnahme rechtens, genehmigt vom damaligen peruanischen Präsidenten Augusto Leguia. Bereits 1917 aber begann Peru Objekte von Yale zurückzufordern – denn Bingham habe behauptet, nach erfolgter Analyse gleich zurückschicken zu wollen. Es entstand ein erhaltener, reger Briefwechsel, in dem Yale zunächst Ausflüchte vorbrachte. Später dann wurde Verweigerung grundsätzlich. Unter Berufung auf den Civil Code von 1852 bestritt Yale schlicht und einfach, zur Herausgabe verpflichtet zu sein.
Auch die neuere Regierung in Peru stellt sich auf den Standpunkt, dass diese Einwilligung entweder an sich schon illegal oder aber an Bedingungen geknüpft war, die verschwiegen und nicht eingehalten wurden. David Ugarte, der Direktor des National Culture Institute in Peru, behauptet, es habe sich lediglich um eine Leihgabe gehandelt. Nachdem Richard Levin, Yale’s Präsident, sich Anfang 2000 mit einer Klageandrohung durch Peru konfrontiert sah, stimmt die Universität einer Rückgabe der Objekte aus Machu Picchu endlich zu. Allerdings behauptet sie auch, bereits im Jahr 1922 Artefakte zurückgegeben und außerdem nie Mumien oder Goldobjekte besessen zu haben. Die Universität unterstrich außerdem, dass ein Großteil der jährlichen Touristen zu ihrem Besuch durch die überall in den USA ausgestellten Objekte aus Machu Picchu inspiriert worden wären.
Insgesamt kehrten 2011 und 2012 schlussendlich 46,635 Objekte nach Peru zurück – allerdings waren nur 360 davon von der Universität als „Museumsqualität“ klassifiziert.
Endlich berühmt
In den 1920ern und 30ern wurde Machu Picchu und damit Peru als Reiseland zum Kult. Artikel und Bücher erschienen reihenweise, die sich mit der „Verlorenen Stadt“ beschäftigten. Mythen und Legenden entstanden; Filme wurden gedreht.
Am erfolgreichsten war Binghams eigenes Buch „The Lost City of the Incas“ („Die verlorene Stadt der Inkas“), das er erst 1948 schrieb und das heute noch erhältlich und sehr lesenswert ist.
1948 reist Hiram Bingham zum letzten Mal nach Machu Picchu und weiht die nach ihm benannte Straße ein, welche zukünftig Touristen zu der alten Inka – Stadt bringen sollte. Auch der täglich zwischen Cusco und Machu Picchu verkehrende Luxuszug des Unternehmens „Tour Operators Orient Express“ wurde nach Hiram Bingham benannt. Wirklich unsterblich ist der 1956 verstorbene Entdecker dann nochmals auf cinematischen Umwegen geworden: In den 1980er Jahren dienen er und seine Abenteuer den Produzenten George Lucas und Steven Spielberg als Inspiration für ihren Kinohelden Indianer Jones.
Der Mann aus Hawaii hat also definitiv Spuren in Machu Picchu hinterlassen – genauso wie auch die Inka, die ihn während seines Lebens so sehr faszinierten.