
Templo de Tintiri – geheimnisvoller Lehmbau im Altiplano von Azángaro
Überblick: Vorinkaische Huaca, republikanischer Feudalismus und andine Religiosität
Der Templo de Tintiri ist eine außergewöhnliche Lehmkirche im Altiplano von Puno, rund 12 Kilometer nordöstlich von Azángaro. Errichtet im 19. Jahrhundert während der oligarchischen Republik und des Konflikts mit Spanien, erhebt sich das Gotteshaus auf der vorinkaischen Huaca „Añaypampa“. Zwischen kolonialer Tradition, republikanischem Feudalismus und lebendiger Andenreligiosität ist Tintiri heute ein einzigartiges Reiseziel für Kultur-, Architektur- und Geschichtsinteressierte.
Geschichte des Templo de Tintiri
Entstehung im 19. Jahrhundert
Der Bau des Templo de Tintiri begann um 1860, in einer Zeit, die von der feudalen, oligarchischen Republik und vom Krieg mit Spanien (1866) geprägt war. Das Gotteshaus wurde auf der präinkaischen Huaca „Añaypampa“ errichtet – einem alten rituellen Platz, der schon vor der Ankunft der Spanier als heilig galt.
Die Kirche besitzt eine basilikale, quadratische Grundfläche von etwa 45 x 50 Metern (ca. 2.250 m²) und ist in Form eines lateinischen Kreuzes von Ost nach West ausgerichtet. Sie wurde 1863 fertiggestellt und später, im Jahr 1905, im Dachbereich renoviert.
Feudalherrschaft und soziale Spannungen
In ihren Anfängen war die Kirche Schauplatz eines asymmetrischen Machtverhältnisses: Tintiri wurde laut Überlieferung unter der Herrschaft des Gamonals J. M. Lizares Quiñones mit Hilfe der ländlichen Bevölkerung errichtet, oft unter großer Härte und Zwang. Historiker wie Tamayo (1980) beschreiben die Epoche als Zeit der patriarchal-feudalen Gesellschaft, in der die Landbesitzer eine tyrannische Dominanz über die bäuerliche Bevölkerung ausübten.
Später wandelte sich die Nutzung: Der Tempel wurde zum Zentrum von Pilgerfahrten zum Señor de Tintiri und zur Festivität des Señor de la Exaltación, die jedes Jahr am 14. September begangen wurde – eine Tradition, die bis in die 1960er Jahre hinein lebendig war.

Architektur und Bauweise des Templo de Tintiri
Materialien und Struktur
Der Templo de Tintiri ist ein eindrucksvolles Beispiel für Andenarchitektur aus Adobe, angepasst an Klima, Topografie und verfügbare Ressourcen des Altiplano:
- Fundamente: Aus Stein und Lehm errichtet, um den schweren Mauern Halt auf der Huaca zu geben.
- Wände: Massive Adobemauern, verstärkt mit Wolle und Stroh in der Mischung – eine traditionelle Bauweise der Region.
- Portale: Zwei Eingangstüren – die obere aus Ziegeln, die untere aus Stein und Lehm.
- Grundriss: Basilikaler Bau in Form eines lateinischen Kreuzes, nach Ost–West ausgerichtet.

Innenraum: Drei Schiffe, Altäre und Kanäle
Das Innere des Tempels folgt dem klassischen Schema einer Basilika, interpretiert mit lokalen Materialien:
- Drei Schiffe: Eine zentrale Hauptschiff mit etwa 8 m Höhe und zwei seitliche Schiffe von rund 6 m Höhe.
- Altäre und Balustraden: Die Altäre sind durch Balaustren gegliedert, mit seitlichen Kapellen und Nischen.
- Fenster: In den Seitenwänden sorgen Fensteröffnungen für Licht im Innenraum, das auf die Lehm- und Stuckflächen fällt.
- Stuck und Malerei: Decken und Innenwände sind mit feinem Lehmstuck und Gips überzogen und mit Farbschichten dekoriert.
Rituelle Elemente und unterirdische Kanäle
Ein besonders markantes Detail ist die rituelle Opfertafel, deren Mörtel aus einer Mischung von gekochter Tierhaut und Blut bestehen soll – ein Hinweis auf die Verbindung von katholischer Liturgie mit lokalen Ritualtraditionen.
Der Tempel verfügt zudem über unterirdische Kanäle in der Nähe des Altars und entlang der Seitenschiffe. Ob diese einst für rituelle Zwecke, symbolische Übergänge oder praktische Entwässerung dienten, ist bis heute Gegenstand von Mythen, Legenden und Forschungen.

Türme und Dach
Zur Silhouette von Tintiri gehören zwei Glockentürme, jeweils etwa 17 m hoch, die früher die Zeiten der Messe markierten und weithin über die Ebene zu hören waren.
- Ursprüngliches Dach: Ehemals mit Ziegeln gedeckt, passend zur kolonialen Bautradition.
- Renovierung: Im Jahr 1905 wurde das Dach mit Calamina (Wellblech) erneuert – ein Material, das resistenter gegen die klimatischen Extreme des Altiplano ist.
Soziale Geschichte, Mythen und Legenden
Der Templo de Tintiri ist nicht nur eine architektonische, sondern auch eine sozialhistorische Bühne. Der Bau spiegelt die Zeit des Gamonalismus wider, als Großgrundbesitzer über Land und Menschen herrschten. Die harte Arbeit der bäuerlichen Bevölkerung ist in den mächtigen Mauern sinnbildlich eingeschrieben.
Gleichzeitig haben die besondere Bauweise, die unterirdischen Gänge und die Lage auf einer ehemaligen Huaca zahlreiche Mythen und Legenden hervorgebracht. Geschichten über verborgene Tunnel, geheime Kammern und unerforschte Bestattungsorte tragen zur geheimnisvollen Aura des Tempels bei und machen ihn zu einem faszinierenden Ort für Reise- und Kulturerkundung.
Religiöse Bedeutung und Feste
Nach der Zeit des intensivsten Gamonalismus wandelte sich Tintiri zu einem wichtigen Zentrum der lokalen Volksfrömmigkeit.
- Pilgerziel: Der Tempel diente als Ziel von Pilgerreisen zum Señor de Tintiri.
- Fiesta del Señor de la Exaltación: Jedes Jahr am 14. September wurde die große religiöse Feier zu Ehren des Señor de la Exaltación begangen – mit Messen, Prozessionen und Sakramenten wie Beichte, Taufe und Eheschließung.
Bis in die 1960er Jahre hinein war der Templo de Tintiri ein zentraler Ort für religiöse und gemeinschaftliche Feierlichkeiten. Heute lebt diese Tradition in modernen Festivals und folkloristischen Veranstaltungen weiter, die an der Fassade und im Umfeld der Kirche stattfinden.
Anreise zum Templo de Tintiri
Lage im Altiplano nordöstlich von Azángaro
Der Templo de Tintiri befindet sich im ländlichen Raum der Gemeinschaft Tintiri, etwa 12 km nordöstlich von Azángaro in der Region Puno. Die Kirche erhebt sich inmitten der offenen Hochlandebene – ein typischer Altiplano-Landschaftsraum mit weiter Sicht und intensivem Licht.
Anfahrtsroute ab Azángaro
- Ausgangspunkt: Stadt Azángaro, Bereich Paradero Jr. Vilpaza / Jr. 9 de Octubre.
- Etappe 1 – Azángaro bis Abzweig Tintiri:
- Art des Zugangs: Terrestrisch
- Verkehrsmittel: Taxi
- Straßentyp: Asphaltierte Straße
- Distanz / Zeit: ca. 12 km / rund 20 Minuten
- Etappe 2 – Abzweig bis Templo de Tintiri:
- Art des Zugangs: Terrestrisch, zu Fuß
- Verkehrsmittel: Fußweg
- Straßentyp: Afirmado (feste, nicht asphaltierte Fahrbahn)
- Distanz / Zeit: ca. 200 m / etwa 5 Minuten
Vor Ort wird der Tempel von der Gemeinschaft Tintiri betreut, die Besucherinnen und Besuchern in der Regel mit Gastfreundschaft und einfacher Infrastruktur entgegenkommt.
Beste Reisezeit und Besuchszeiten
Der Templo de Tintiri kann das ganze Jahr über besucht werden. Aufgrund der Höhenlage sollten Reisende jedoch stets auf das wechselhafte Klima des Altiplano vorbereitet sein.
- Empfohlene Besuchszeit: Ganzjährig
- Öffnungszeiten: etwa 08:00 Uhr bis 16:00 Uhr
- Hinweis: Aus Sicherheits- und Organisationsgründen wird empfohlen, den Besuch vorab mit der Gemeinschaft abzustimmen.
Aktivitäten und Erlebnisse rund um den Templo de Tintiri
Fotografie, Forschung und Dokumentation
- Fotografie & Filmaufnahmen: Die monumentalen Lehmwände, die Türme und das Wechselspiel von Licht und Schatten bieten beeindruckende Motive für Foto- und Videoprojekte.
- Studien & Forschung: Der Tempel ist ein spannendes Feld für historische, architektonische und ethnografische Untersuchungen – etwa zur republikanischen Baugeschichte, zur Huaca Añaypampa oder zur Sozialgeschichte des Gamonalismus.
Naturerlebnis im Altiplano
- Landschaftsbeobachtung: Die weite Altiplano-Ebene rund um Tintiri lädt zur Beobachtung des Hochlandpanoramas, des Himmelslichts und der typischen Vegetation ein.
Kultur, Tanz und lebendige Tradition
- Kulturelle Aktivitäten: Gelegenheit zur Beobachtung künstlerischer Ausdrucksformen wie Tanz, Musik und anderer Darbietungen bei besonderen Anlässen.
- Festival de Danzas Tintiri: Im Monat Oktober findet ein Tanzfestival statt, bei dem traditionelle Tänze und Trachten der Region präsentiert werden – ein lebendiges Schaufenster der Kultur und Folklore Azángaros.
Der Templo de Tintiri als Reiseziel im Altiplano von Puno
Der Templo de Tintiri ist ein einzigartiges Beispiel andiner Sakralarchitektur aus Adobe, das Geschichte, Machtverhältnisse, Glauben und Landschaft in sich vereint. Seine Lage auf einer alten Huaca, die monumentalen Lehmmauern, die Türme und die unterirdischen Strukturen haben Mythen und Legenden hervorgebracht, die ihn zu einem geheimnisvollen Ort machen.
Wer die Region Azángaro in Puno bereist, findet in Tintiri einen authentischen, wenig bekannten Kulturschatz des peruanischen Altiplano – ein lohnendes Ziel für alle, die tiefer in die Geschichte, Kultur und Architektur der Anden eintauchen möchten.

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