
Traditioneller Tanz H’ach’akallas in Usicayos – Ritual der Kartoffelernte und der Andenfruchtbarkeit
Lebendige Andenkultur zwischen Ritual, Landwirtschaft und Fest
Der traditionelle Tanz H’ach’akallas gehört zu den wichtigsten kulturellen Ausdrucksformen des Distrikts Usicayos in der Provinz Carabaya (Region Puno). Forschungen der puneñischen Kulturkenner Leónidas Cuentas, Enrique Bravo und Félix Paniagua weisen darauf hin, dass H’ach’akallas eine typische und originäre Tanzform Carabayas ist. Heute wird der Tanz vor allem in den Distrikten Crucero und Usicayos gepflegt – mit gemeinsamen Wurzeln, aber eigenen musikalischen, symbolischen und kostümlichen Ausprägungen.
H’ach’akallas ist weit mehr als eine choreografische Vorführung: Der Tanz ist eng mit dem landwirtschaftlichen Zyklus der Kartoffel, der Fruchtbarkeit der Felder und der Verehrung der Ahnen verbunden. In Usicayos ist er bis heute ein zentrales Element der lokalen Identität und wird sowohl in rituellen Kontexten als auch bei Wettbewerben und Festumzügen präsentiert.
Herkunft und symbolische Bedeutung des Tanzes H’ach’akallas
Der ursprünglich in der Provinz Carabaya beheimatete Tanz H’ach’akallas hat seine Wurzeln in vorkolonialen, vermutlich vorinkaischen Ritualen. Überlieferungen der Trägergemeinschaft in Usicayos deuten darauf hin, dass der Tanz mit präinkaischen Kulten zur Verehrung bestimmter Feldfrüchte und mit dem landwirtschaftlichen Produktionszyklus verbunden ist.
Der Tanz wird heute von gemischten Paaren ausgeführt und steht in einem direkten Zusammenhang mit:
- dem Anbau und der Ernte von Kartoffeln,
- dem Wunsch nach fruchtbaren Böden und reichen Erträgen,
- der symbolischen Verbindung von Mensch, Pflanze und Erde.
In Usicayos bezeichnet der Begriff H’ach’akallas nicht nur den Tanz, sondern auch einen Pilz, der in der Region wächst. Seine Form und seine heilenden Eigenschaften werden mit der charakteristischen Kopfbedeckung der männlichen Tänzer – der sogenannten paniza – in Beziehung gesetzt. Der Tänzer selbst wird ebenfalls H’ach’akalla genannt, was seine Rolle als rituelle Figur zusätzlich hervorhebt.

H’ach’akallas in Usicayos und Crucero – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Sowohl in Crucero als auch in Usicayos wird H’ach’akallas im Rahmen ähnlicher Festkontexte aufgeführt, und in beiden Distrikten tragen die männlichen Tänzer die auffällige paniza-Montera. Dennoch unterscheiden sich die lokalen Varianten in wichtigen Details:
- Zusammensetzung der Tanzgruppen (comparsas): Anzahl, Rollen und Gewichtung der Figuren variieren je nach Ort.
- Musik: Melodien, Instrumentierung und Rhythmus besitzen jeweils lokale Eigenheiten.
- Kostüme: Schnitt, Farben und Accessoires können sich deutlich unterscheiden.
- Rituelle Bedeutung: Der Grad der Einbindung in religiöse oder landwirtschaftliche Zeremonien und die Betonung bestimmter Symbole kann von Gemeinde zu Gemeinde abweichen.
Diese Unterschiede verleihen der Tradition Vielfalt, während die gemeinsame symbolische Basis – Fruchtbarkeit, Landwirtschaft, Ahnenkult – die regionale Identität der Provinz Carabaya stärkt.
Festkalender: Wann wird H’ach’akallas getanzt?
Der wichtigste Rahmen für die Aufführung des H’ach’akallas in Usicayos ist das malli, die Fiesta de la papa nueva, das Fest der neuen Kartoffel. Dabei wird die Freude über die ersten Ernteerträge mit festlichen, rituell aufgeladenen Tänzen zum Ausdruck gebracht.
Malli – Fest der neuen Kartoffel
- 20. Januar: Aufführung in der Ortschaft Occosiri, nahe der Distrikthauptstadt Usicayos.
- 2. Februar: Präsentation in Usicayos selbst, zusammenfallend mit den Festtagen zu Ehren von San Sebastián und der Virgen Purificada.
In beiden Fällen verbindet sich der Tanz H’ach’akallas mit katholischen Festkalendern, behält jedoch seine tief verankerte agrarische und rituelle Bedeutung.
Karneval und andere Feste
Neben dem malli wird H’ach’akallas in Usicayos in verschiedenen weiteren Festkontexten aufgeführt:
- Karneval in Usicayos: Der Tanz feiert die Fruchtbarkeit der Erde und die Fülle der Ernten.
- Distriktsjubiläum: Am 2. Mai konkurrieren verschiedene Gruppen in Tanzwettbewerben zu Ehren des Distriktgeburtstags.
- Provinzjubiläum von Carabaya: Am 7. August wird der Tanz in der Provinzhauptstadt Macusani präsentiert und repräsentiert Usicayos vor einem breiteren Publikum.
In Wettbewerben und Präsentationen werden Kostüme, Choreografien und musikalische Begleitungen häufig erweitert und spektakulärer inszeniert, während die rituell-traditionellen Kontexte eher schlichter, jedoch symbolisch aufgeladener sind.
Aufbau der Tanzgruppe: Figuren und Rollen
Die H’ach’akallas-Comparsas aus Usicayos bestehen aus Musiker:innen und Tänzer:innen. Die Tänzer:innen übernehmen klar definierte Rollen, die unterschiedliche Aspekte von Jugend, Fruchtbarkeit und Ahnenpräsenz verkörpern.
Die H’ach’akallas und Taquilas: Jugend und Fruchtbarkeit
- H’ach’akallas: Werden ausschließlich von Männern dargestellt. Sie tragen die charakteristische paniza-Montera und gelten als zentrale, rituell aufgeladene Figuren des Tanzes.
- Taquilas: Werden ausschließlich von Frauen dargestellt. Gemeinsam mit den H’ach’akallas symbolisieren sie Jugend, Vitalität und Fruchtbarkeit.
Zusammen treten H’ach’akallas und Taquilas als Tanzpaare auf und verkörpern damit die harmonische Verbindung von männlich und weiblich, die für das Entstehen neuen Lebens und das Gedeihen der Felder steht.
Die Machus und Payas: Ahnen, Humor und Satire
Neben den jugendlichen Figuren treten zwei ergänzende Charaktere auf:
- Machu (der Alte): Verkörpert die männliche Ahnenfigur.
- Paya (die Alte): repräsentiert die weibliche Ahnenfigur.
Beide Rollen werden von jungen Männern aus der Gemeinde dargestellt. Sie erscheinen als satirische und burleske Figuren, die das Geschehen kommentieren, mit dem Publikum interagieren und eine humorvolle, manchmal derbe Note in das Ritual einbringen. Zugleich erinnern sie an die Präsenz der Vorfahren, die den landwirtschaftlichen Zyklus begleiten und schützen.
Größe der Comparsas und musikalische Begleitung
Die Größe der Tanzgruppen und der Musikensembles variiert je nach Kontext der Aufführung – von kleineren, eher intimen Ritualen bis hin zu großen Wettbewerben mit zahlreichen Teilnehmer:innen.
Teilnehmende Tänzer:innen
- In rituellen und traditionellen Kontexten besteht eine typische Gruppe aus mindestens 10 Paaren von H’ach’akallas und Taquilas, begleitet von je einem Machu und einer Paya.
- In Wettbewerben und Präsentationen können sich die Gruppen auf über 100 Paare ausweiten, ergänzt durch eine Vielzahl von Machus und Payas.
Mit der wachsenden Zahl der teilnehmenden Tanzpaare und Figuren gewinnt der Tanz an visueller und akustischer Wucht und wird zu einem spektakulären Symbol der kollektiven Identität von Usicayos.
Musiker und Instrumente
Auch die Zahl der Musiker:innen richtet sich nach dem Anlass:
- In rituellen und kleineren festlichen Rahmen besteht das Ensemble meist aus 6 bis 8 Musikern.
- Bei großen Tanzwettbewerben können mehr als 40 Musiker beteiligt sein.
Die Musik verleiht dem Tanz seinen charakteristischen Rhythmus und trägt die Emotionen – vom feierlich-rituell getragenen Tempo bis zu mitreißenden, fröhlichen Passagen, die das Publikum einbeziehen.
H’ach’akallas als lebendiges Kulturerbe Carabayas
Der traditionelle Tanz H’ach’akallas ist heute ein lebendiges kulturelles Erbe der Provinz Carabaya und insbesondere des Distrikts Usicayos. Er verbindet:
- alte landwirtschaftliche Rituale rund um die Kartoffel,
- andine Spiritualität und Ahnenverehrung,
- christliche Festkalender wie Heiligenfeiern und Karwoche,
- künstlerische Ausdrucksformen in Tanz, Musik und Kostümkunst.
Ob beim malli, zu Karneval, beim Distriktsjubiläum oder in den Straßen von Macusani – H’ach’akallas ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Tradition, Ritual und Freude am Fest in der Andenwelt ineinandergreifen und bis heute das soziale und kulturelle Leben eines ganzen Distrikts prägen.

